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EXTRAEX 2014

Screening- und Diskussionsreihe »EXTRÆX — experimental tracks«

 

CLUSTER

1. Reise — Kino

Seit seiner Entstehungsphase bot das Kino als Ort sozialer Regeln/Wahrnehmungs- verträgen und als gewachsene Institution erzählenden Inhalten traditionell eine gro- ße Plattform und benutzte begleitend die Narration als selbtsreflexive Metapher der Filmerzählung und Techniklogik.


Die basalste Funktion einer selbt–gewach- senen Erzählung und Selbstbegündung per se ist wohl das/der ›road movie‹, welcher einfach passiert und chronologisch sich selbt erzählt. Einzige Bedingung dafür ist die Bewegung an sich. Die Bewegung des aufzeichnen Mediums durch die Zeit und die Landschaft hindurch.


Das Kino als Ort kollektiver und paradoxer- weise zugleich auch als isolierter sozialer Erfahrungsraum, bot dem Reisefilm schon immer eine Exklusivität: sei es in neu und exklusiv entwickelten Panormamaforma- ten für die Bildaufnahme und Projektion als auch die damit gekoppelte Projektion, weiterhin ein auf die Bedürfnisse des Ge- zeigten hin gewachsener mobiler Raum. Mittlerweile obsolete auditive Stereo– und optische Verkrümmungsverfahren zeugen von einem Streben des "Film", des Mate- rials zum Experiment, zur Erweiterung des Repertoires. Eigens erbaute IMAX–Projektionskinos, Spezialprojektionen bei Konzerten und The- ater, inmitten audio–visuellen Installationen auf Mega–Amusementparks, Spezialbrillen und Mittelformatprojektionen: alls diese Punkte dienen »EXTRÆX« als Arbeitsthesen für den ersten Diskussionsblock 2014.

2. Musik — TV

Im Gegensatz zum manuellen und jeder- zeigt anpaßbaren Rhythmus des Zellu- loid–Kinos, welches mit 16 mm Kinoauffüh- rungen gross geworden ist, beschleunigt sich das Televisionsbild technisch gemäß des transportierten Inhalts. DIe Abfolgen richten sich nach Musikbeat, Werbeslots, Ansagezeiten, Sende– und Aufmerksam- keitsrastern.


Diese technische Möglichkeit – eingehend mit der Erleichterung der Produktionsbedin- gungen mit VHS, Video und Radioübertra- gung – führten Regisseure dazu auch mit dem Apparat des allgemeinen Fernsehge- räts zu experimentieren und sich dessen sozialer Position zu bedienen. Die Stärke der Reichweite verbunden mit der Energie des neuen Mediums, des Potenzials der Stars, der Macht der Pointiertheit, der Tech- nik, der kurzen Übertragungswege, der Reibungslosigkeit etc. verband Musik und Fernsehen von Anbeginn.


Der Legende nach soll der erste Tonfilm natürlich einen spielenden Musiker gezeigt und getönt haben. Musikclips, Künstler- filme, experimentelle youtube–Videos, blogs, iPhone–Spielereien online gestellt als Epitom. Diese modernen, meist unbewußt produzierten audio–visuellen Experimente basieren auf der Reflektion des Musikfern- sehens und des Fernsehens mit Musik im All- gemeinen. Ganze Abendsendungen speisen sich aus endlosen Abfolgen von Bands oder Kapellen, Chart–shows am Bande, manche Dokutainment–Produktionen sind im Prinzip reine Musikvideos, mit Realsatire unterlegt – und nicht zu vergessen die Werbung mit ihrem ganz individuellen Takt.


Doch einhergehend mit dem Rhythmus der Bildabfolge beschleunigte sich auch der Austausch der Inhalte. Moden und Stile ent- wickelten sich individuell, Subkulturen und Marketing, welche auf neue, experimentier- freudige Künstler angewiesen sind.

3. Science–fiction — digitale Revolution

Sympthomatisch für die Erzählinhalte und Muster digitaler Medien sind die utopischen oder dystopischen Modelle der Benutzung dieser Geräte. Oder eine Abstraktion davon.


Ein sich automatisch und ohne Verzögerung selbst–kontrollierendes Medium wie das Video (die Videokamera allgemein, sei es minDV etc.) oder das digitale screen–Bild, erzählt immer auch von der Lustlosigkeit und Vergeblichkeit dieser Bilder. Sie sind austauschbar, leblos, reproduzierbar, schwach; die Erzählinhalte haben sich dermaßen potenziert, daß sie gleichgültig geworden sind. Ganze Musikalben und Filme lassen sich einem einzigen Gerät beziehungsweise einer Software zuordnen, ein visueller Stil der Gegenwart und Zukunft ist von den Geräten provoziert und model- liert.


Doch die Freiheit welche das Medium zur Selbstkritik bietet mündet meistens in nos- talgischen Bildeffekten und Reduktion der technischen Möglichkeiten. So werden Linsen der 1900–Kameramodelle in iPhones beliebt und auf Smalfilm getrimmte HD–Vi- deos. Die Effekte knüpfen jedoch auch auf etablierte Erzählmuster hin: Narrationen des Kinos, des selbstreflexiven Materials, des sozial bewußten Ortes, der Institution der kollektiven Transformation und Un- terhaltung. Digitale Medien schaffen das Substrat für experimentelle Sichtweisen und Erzählmuster, enttarnen sich aber im End- produkt oft als konventionelle Inhaltsanga- ben historischer Spielmuster. Gerade durch optische Aktualität können solche Produkti- onen ihre direkte produktive Referenz nicht ganz leugnen und verbleiben einer selbstre- flexiven und medial verschachtelten Be- trachtungsweise unfreiwillig stets verhaftet.

4. Geschichte Paranoia

Die Vorstellung der totalen Kontrolle, der vollständigen Wiedergabe von subjektiven Werten und Regungen mittels einer Maschine, der totalen Beherrschung eines Werkzeuges, ist eine illusorische Vorstellung. Unkontrollierbarkeit der individuellen Geräte und Programme sowie Unvorhersehbarkeit der Gesamtentwicklung mündet in einer black box der Erinnerungsebenen.

Geschichte und Narration, bzw. die Darstellung von historischen Ereignissen ähnelt einer solchen dunklen Kammer, einem Flugschreiber unserer kollektiven Geschichte. Sie haben den Anschein und den Status von Objektivität und Fixierung, aber auch von perpetitiver Impulserlösung im religiösen Sinn.

Die Verschwörunsgtheorie ist deshalb eine Form von Paranoia, da der kollektive Verfolgungswahn von Geschichte nur ein Modus von Kontrolle dartellt und Alternativen, schlüssigen Konstrukten standhalten muß. Selbst das vermeintlich objektivste Medium, wie die Abfolge von fotografischen Bildern als Video, erfüllen keine allgemeingültigen Konventionen und sind nur oberflächlich alternativen Versionen und Manipulationen gefeit. Technik bildet nicht nur nicht nur ab sondern erzählt selektive Machtbehauptungen, visuelle und narrative Überzeugungsstrategien sowie kritischen Selbtreflektionen.

 

Diese Veranstaltungen finden an jeweils ei- nem Abend im Februar, April und Juni 2014 im D21 Kunstraum statt.
Wir schalten auf Null, springen zum An- fang, verlassen ausgetretene Gleise (tracks) und fragen grundlegend nach Natur und Gattung des experimentellen Films. Aus- gangspunkt ist die Frage, in welcher Aus- prägung und Form das "Experimentelle" im experimentellen Film auftauchen kann und was uns dazu verleitet, einen Film als "ex- perimentell" zu kategorisieren.
Die interdisziplinäre Herangehensweise bietet die Möglichkeit, sich aus neuer, nicht ausschließlich filmwissenschaftlicher Pers- pektive dem Untersuchungsgegenstand zu nähern und ihn für alle in eine gemeinsame Sprache zu übersetzen. Diese Treffen bie- ten darüber hinaus einen Anlass, sich über theoretische und historische Grundlagen der Gattung experimenteller Film auszu- tauschen sowie Fragen der Filmphilosophie und der Debatte Film vs. Video zu erörtern.
Die Herangehensweise birgt auch Risiken, da die Protagonisten ("Theoretiker" und "Praktiker" verschiedener Disziplinen) durchaus unterschiedliche "Sprachen" sprechen können. In diesem Sinne ist auch »EX- TRÆX« ein Experiment – ob es glückt, kann man nicht mit 100%iger Sicherheit vorher- sagen. Die Rahmenbedingungen werden je- doch durch Vorauswahl und Recherche der Künstler bzw. Wissenschaftler sowie durch die moderierte Diskussion abgesteckt.
Innerhalb der »Reihe Experimentalfilm / EXTRÆX« und »extra« gilt dem Dialog zwischen Interessierten und Fachpublikum aus Theorie und Produktion besondere Auf- merksamkeit. Nicht zuletzt geht es darum, die heutige mediale Bildkultur kritisch aber auch spielerisch wahrzunehmen, zu untersu- chen, zu reflektieren und abseits einer dog- matischen, wenn nicht gar abschreckenden Gattngsdefinition von "Experimentalfilm" dem Leipziger Publikum näherzubringen.
Dieser Ansatz kommt dem in Leipzig be- stehenden kulturellen und künstlerischen Engagement unabhängiger, subkultureller Strömungen entgegen. Hierbei werden Leipziger Initiativen und ihre langjährige Arbeit als essentieller Beitrag zu dieser Reihe angesehen: Anknüpfungspunkte sind einerseits bereits bestehende Institutionen und Traditionen, wie die Leipziger Dokfilm- tage, unabhängige Medien- und Filminitiati- ven (Fernsehen macht schön, filmplus, Black Box, FILZ, cinema abstruso etc.), lokale Hochschulenund Bildungseinrichtungen sowie die unabhängigen lokalen Programm- kinos und temporären Präsentationsflächen innerhalb des Leipziger Kunstkontextes.
Ein langfristiges Ziel ist die lokale Vernet- zung von Film— / Medienschaffenden und daran Interessierten, ferner die Förderung experimenteller Bildkunst sowie der stetige Aufbau eines Leipziger Archivs für expe- rimentelle Film— und Videokunst in der Bibliuothek der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB).
Während bei »extra – experimental trails« die zeitgenössischen oder freien, weniger
etablierten Arbeiten im Vordergrund ste- hen, sind es bei »EXTRÆX — experimental tracks« die stilprägenden Protagonisten der Gattung "Experimenteller Film", welche vor dem Hintergrund einer mutmaßlich ana- chronistischen Fragestellung neu hinterfragt und positioniert werden sollen.


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